Instandsetzung Wohnsiedlung Au Zürich
Die Kleinhaussiedlung Au in Zürich, bestehend aus siebzehn einheitlich gestalteten Siedlungshäusern, wurde zwischen 1937 und 1941 vom Architekten Jörg Seger im Auftrag der Stadt Zürich geplant und gebaut. Sie war für Langzeitarbeitslose und deren Familien gedacht, die aufgrund ihres Alters, ihrer Ausbildung oder Krankheit Schwierigkeiten hatten, sich wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Grosszügige Gemüsegärten und hölzernen Schopfanbauten sollten es den Bewohner*innen ermöglichen, sich teilweise selbst zu versorgen. Die Siedlung ist im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung aufgeführt. Dreizehn der Häuser wurden von S2 Architekten in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege umfassend, aber behutsam instandgesetzt. Heute ist «Gardening» wieder in aller Munde. Nicht nur wegen dem Aspekt der Selbstversorgung, sondern auch um dem Klimawandel entgegenzuwirken, gesunde Ernährung zu fördern und naturverbunden zu leben. Sigi Stucky von S2 Architekten sprach im Interview mit Nina Farhumand über die Aktualität der Typologie.
Die Siedlung entstand inmitten der Wirtschaftskrise und vor den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Sie ist ein wertvolles Zeugnis einer typologischen und sozialgeschichtlichen Kleinhaussiedlung und in ihrer Erhaltung einzigartig. Können Sie etwas zum historischen Hintergrund und zur Schutzwürdigkeit der Siedlung sagen?
Das Besondere an dieser Siedlung ist, dass sie speziell für Langzeitarbeitslose konzipiert wurde. Die Idee war seinerzeit, dass sich die Bewohner*innen durch den Gemüseanbau und die Kleintierzucht selbst versorgen und ihre Produkte auf dem Markt verkaufen. Die relativ kleinen Wohnhäuser sind aus 30 Zentimeter dicken Backsteinen gemauert. Sie sind funktional und robust. Die Gärten als landwirtschaftlich nutzbare Flächen zeigen sich dagegen grosszügig bemessen. Zusätzlich gibt es einen Schopf, Keller und Estrich. Die Wohnhäuser sind nicht in erster Linie aus architektonischer Sicht schützenswert, sondern vor allem als Zeitzeugen. Eine ähnliche Siedlung gibt es – soweit ich weiss – in Winterthur, aber sonst nirgendwo in der Schweiz.
Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen? Was macht diese Bauaufgabe so besonders?
Das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich hat einen Planungswettbewerb durchgeführt, an dem fünf Architekturbüros im Einladungsverfahren teilnehmen durften. Diesen Wettbewerb konnten wir für uns entscheiden. Was uns fasziniert hat, war die Art und Weise, wie die Grundrisse organisiert sind. Alles ist sehr einfach, aber von hoher Qualität. Die zweigeschossigen Einfamilienhäuser haben jeweils vier Zimmer. Der überschaubare Eingang führt direkt ins Wohnzimmer. Von dort gelangt man über eine Treppe in die obere Etage. Die effiziente Organisation setzt sich auch im Obergeschoss fort: Der Aufgang zum Dachboden führt durch ein Zimmer; es ist alles auf das Notwendigste reduziert. Demgegenüber gibt es einen grossen Schopf und einen Keller, um Obst zu lagern. Diese sehr komprimierte, konzentrierte Raumaufteilung ist sehr spannend. Die Eingriffe im Instandsetzungsprojekt wurden deshalb so gering wie möglich gehalten.
Welchen Einfluss hatten der Ort und der historische Hintergrund auf die Gestaltungsidee?
Mit unserem Entwurf verfolgten wir den Ansatz, einen nachhaltigen und kulturell sinnvollen Umgang mit der alten Bausubstanz zu finden. Es gab Vorgaben durch den Denkmalschutz, sodass der Schopf und das Dach nicht ausgebaut werden konnten. Aussen durfte keine zusätzliche Dämmung angebracht werden. Aus denkmalpflegerischen Gründen wurde der bestehende Verputz belassen und nur die Risse an den Fenstern geflickt. Eine Innendämmung erhielten die Kellerdecke, die Wand zum Schopf und die Innenwände. Bad und Küche sollten als neue Elemente wahrgenommen werden. Die Fenster wurden bauzeitlich ersetzt. Im Inneren handelt es sich eher um einen Rückbau als um eine Veränderung. Um den Zustand von vor nahezu 80 Jahren so weit wie möglich wiederherzustellen, wurden die alten Fussböden belassen sowie alle nachträglich erstellten Einbauten und Oberflächen wie zum Beispiel Akustikdecken wieder entfernt.
Welchen Einfluss hatten der Bauherr und die späteren Mieter*innen auf die Renovation?
Der Entwurfsgedanke war zum einen, die Sanierungsmassnahmen so zu konzipieren, dass der spezifische architektonische Charakter der pragmatischen Moderne integral erhalten bleibt, und zum anderen hatte der Erhalt von kostengünstigem Wohnraum Priorität. Die Haltung der Bauherrschaft deckte sich mit unserem Ziel
Wie fügt sich das Gebäude in die Reihe Ihrer Arbeiten ein? Auch bei einem Ihrer früheren Projekte, dem Umbau und der Umnutzung des ehemaligen Dienstgebäudes von Hermann Herter zur Rio Bar, handelte es sich um ein historisches Gebäude. Gibt es ein prägendes, wiederkehrendes Merkmal, eine Besonderheit Ihrer Projekte?
Jedes Projekt verlangt immer nach der Auseinandersetzung mit seinem spezifischen Kontext oder der gebauten Substanz. Zu den so gewonnenen Erkenntnissen kommen die Wünsche und Vorstellungen der Bauherrschaft hinzu. Ein Merkmal unserer Arbeit ist zu schauen: Wo sind die Qualitäten des Altbaus? Wo liegen die Potenziale. Daraus entstehen die Ideen für die Intervention. Wir versuchen, uns von der Geschichte des Gebäudes und des Ortes inspirieren zu lassen. Bei der angesprochenen Rio Bar von Hermann Herter waren die Eingriffe im Vergleich zur Wohnsiedlung Au grösser. Früher handelte es sich hierbei um einen kleinen Werkhof, der in eine Bar umgewandelt wurde. Die Intention war es, ein Gebäude zu schaffen, das in seiner neuen Erscheinung den Eindruck erweckt, als wäre es in dieser Form schon immer da gewesen. Alt und Neu sollen nicht im Widerspruch zueinanderstehen, sondern die Eingriffe sollen in den Bestand integriert werden, um ein neues Ganzes zu bilden. Die neuen Interventionen ergeben sich aus der Analyse des Altbaus. Die Rio Bar stand auch explizit nicht unter Denkmalschutz, daher hatten wir mehr Möglichkeiten.
Abschliessend möchte ich noch eine übergeordnete Frage stellen: Was ist die grösste Herausforderung für das Bauen in der heutigen Zeit und in Zukunft?
Das Bewusstsein für die Energiewende und die Klimaneutralität bilden als aktuelle Themen eine wesentliche Grundlage, ebenso wie soziale Fragen. Für uns ist auch die Frage nach der Urbanität von Bauten essenziell. Wie verhält sich ein Bau zu seiner Umgebung? Er soll eine klare Position einnehmen und einen wahrnehmbaren öffentlichen Raum bilden. Gebäude sollten immer einen Mehrwert für die Gesellschaft zu leisten. Sie sollten eine integrative Wirkung besitzen – und nach Möglichkeit einen öffentlichen Ort erzeugen.
Erstveröffentlichung Schweizer Baudokumentation, Text: Nina Farhumand, Interview Homepage: Interview mit Sigi Stucky über die Instandsetzung der Wohnsiedlung Au - baudokumentation.ch, Instagram: https://www.instagram.com/schweizerbaudokumentation/?hl=de; Facebook: https://www.facebook.com/schweizerbaudokumentation/
Architekt
S2 Architekten GmbH, Zürich | www.s2architekten.ch
Bauherrenvertreter
Chris Keller, Stadt Zürich Amt für Hochbauten | www.stadt-zuerich.ch/hochbau
Fotos
Beat Bühler, Zürich | www.beatbuehler.ch
Text
Nina Farhumand, Docu Media Schweiz GmbH